| In einer Facebook-Gruppe stellte kürzlich ein Sportfreund folgende, aus meiner Sicht völlig berechtigte, Frage:
"Eine Sache ist mir jetzt in unseren Reisesystem zum erstenmal bewusst geworden in meiner erste Jungtaubensaison: warum muss ich mit meinen 30 Tauben genauso viel Volle haben wie ein Züchter der mit 120 Tauben reist? Ist es nicht extrem unfair?"
Mindestens 3/4 aller Antworten der sportfreunde unter diesem Beitrag zeigen auf, warum es mit dem deutschen Brieftaubensport so rapide bergab geht. Diese völlig berechtigte und auch logische Frage wird relativiert und heruntergespielt und als irgendwie unberechtigt dargestellt. Da liest man Antworten wie:
"Ich kenne Spieler die mit 120 Jungtauben schlechter spielen als andere mit 10 Jungtauben."
oder
"Ganz so einfach ist das nicht, schau mal in den einzelnen Rvn wieviele Züchter du dort findest die mit über Hundert Jungtauben beginnen und nicht mal eine volle haben."
oder
"Wenn Du Deine kleine Mannschaft top trainierst und vorbereitest, kannst Du mit den Jungen locker Meister werden."
oder
"Mit kleiner Mannschaft hat man viele Vorteile, Mehr Vor- als Nachteile. 40 reichen doch dicke um ne Meisterschaft zu holen."
...und ich könnte das noch eine Weile so weiter führen. Alle diese Antworten und noch viel mehr gehen komplett am Thema vorbei. Denn der Sportfreund hat in der Sache vollkommen recht. Es gibt keine andere Sportart und kein anderes Hobby, welches einen Wettbewerbscharakter hat, in dem der Wettbewerb derart unfair seit Jahren und Jahrzehnten ausgetragen wird.
Man stelle sich einmal im Fußball den Aufschrei vor, wenn Bayern München zu jedem Spiel 40 Spieler aufstellen dürfte, der BVB 30 Spieler und Eintracht Frankfurt 10 Spieler. Und immer zählen aber nur die geschossenen Tore jeder Mannschaft. Es müsste ein Wunder geschehen, dass über die Saison gesehen Eintracht Frankfurt den Titel gewinnt. Und genauso ist es im Brieftaubensport.
Schaut man in die RVen, dann sind es in den Meisterschaften fast immer die Schläge, die mit sehr vielen Tieren (in Relation zur Konkurrenz) an den Start gehen, die am Ende vorne liegen. Weil die Meisterschaften in unserem Brieftaubensport leider seit vielen Jahren so gestrickt sind, dass man mit Masse einfach größere Chancen hat.
Der Ausredenkatalog ist dann immer groß, wenn man dieses Thema anspricht. Es sind immer die gleichen Antworten, die dann kommen: "Ich sehe gerne viele Tauben heim kommen.", "Die Schläge mit vielen Tauben finanzieren die Reise zu einem großen Teil", "Wer es mit 20 Tauben nicht schafft vorne zu fliegen, der schafft es auch nicht mit 80 oder 100 Tauben" usw.
Ich will das alles nicht in Abrede stellen. Da ist überall etwas dran. Aber es ändert überhaupt nichts an der Tatsache, dass es im deutschen Brieftaubensport nach den aktuell gültigen Meisterschaften und Regelungen ein völliges Ungleichgewicht der Chancen hinsichtlich des Gewinns von Meisterschaften zugunsten der Schläge mit vielen Tauben gibt. Und kaum einer geht ran dieses einmal zu ändern. Im Gegenteil: spricht jemand, wie der oben zitierte Sportfreund, dieses Thema an, dann wird es schnell vom Tisch gewischt mit Aussagen, wie ich sie auch hier zitiert habe.
Am kommenden Wochenende findet wieder der sogenannte "Gold-Cup-Flug" statt. Zum 30.sten Mal inzwischen. Ein freier Jungtaubenflug über mindestens 350 KM. Das besondere an diesem Flug ist: jeder Teilnehmer darf maximal 6 (!) Jungtauben an den Start bringen. Ich kenne keinen faireren und gerechteren und aussagekräftigeren Wettbewerb für einen Einzelflug in Deutschland. Am Ende lassen sich auf diesem Wettflug die Ergebnisse hervorragend vergleichen und im Kampf um die vielen Ehrenpreise haben alle Teilnehmer die gleichen Chancen.
Was hindert uns eigentlich daran dieses Modell auch für eine ganze Reisesaison anzuwenden? Natürlich nicht nur mit 6 Tauben? Aber warum ist es nicht möglich zu sagen: zur Alttaubenreise darf jeder Schlag maximal 30 Tauben an den Start bringen und zur Jungtaubenreise beispielsweise 40 oder 50 Jungtauben. Und damit muss es gut sein. Die Finanzierung der Flüge kann ja auch anders ablaufen als über ein Korb- bzw. Einsatzgeld pro einzelner gesetzter Taube. Es wäre so vieles denkbar.
Warum muss ein Schlag, der in diesem Jahr vermutlich deutscher Meister mit den Alttauben wird, zu Saisonbeginn mit 140 Alttauben an den Start gehen in einer RV, die insgesamt gerade einmal mit etwas über 1000 Tauben beginnt? Es ist doch überhaupt nicht nötig? Ich wette dieser Schlag wäre nicht weniger erfolgreich mit nur 30 oder 40 Tauben. Aber es würde alles eher in Relation zu den anderen Sportfreunden stehen.
In unseren westlichen Nachbarländern werden Schläge wie Willem de Bruijn, Gerard und Bas Verkerk oder die Gebrüder Leideman für ihre herausragenden Leistungen gefeiert. Fraglos sind dort echte Könner am Werk mit hervorragenden Tauben und viel Taubenverstand. Aber auch mit Taubenzahlen, die teilweise jenseits von allem sind, was man noch Hobby nennen kann. Warum müssen solche Schläge mit teilweise 300 und mehr Tauben an den Start gehen? Warum benötigen bekannte deutsche Spitzen- und Verkaufs(!)-Schläge zum Saisonstart 130, 150, 170 oder noch mehr Tauben auf der Reise? Weil dort die Taubenqualität so hoch ist? Weil man dort gerne viele Tauben heimkommen sieht? Und warum müssen wir dann auch noch Meisterschaften ausspielen, die alleine rein rechnerisch diesen Großschlägen absolut in die Karten spielen? Wir könnten es doch sehr viel einfacher und fairer haben? Ohne dass irgendjemand auf irgendetwas verzichten müsste. Warum wird diese Diskussion eigentlich gar nicht ernsthaft geführt? Warum veranstalten wir schon seit Jahrzehnten Wettbewerbe, die in ihrem Kern in keiner Weise mehr fair sind und warum ändern wir daran nichts?
Das sind aus meiner Sicht sehr berechtigte Fragen, die gestellt werden müssen. Aber vielleicht käme man bei einer ernsthaften und offenen Diskussion dann einmal wirklich zu einem Punkt, den man in der heutigen Zeit aus vielerlei Gründen einfach nicht diskutieren will: die Taubenqualität! Darüber will leider kaum jemand noch wirklich sprechen. Vielleicht weil eine ernsthafte Diskussion über die Taubenqualität am Ende "verkaufsschädigend" sein könnte. Also lassen wir lieber alles so wie es immer war..... | | |
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